Beschreibung
Prof. Dr. Hans-Jürgen Luderer: Die Behandlung einer dissoziativen Störung im 19. Jahrhundert. Was können wir heute daraus lernen?
Friederike Hauffe, die "Seherin von Prevorst" – eine Patientin mit einer schweren dissoziativen Störung und ihre Behandlung durch den Arzt und Dichter Justinus Kerner (1786-1862).
Friederike Hauffe wurde 1801 als Tochter des Revierförsters Wanner in Prevorst in den Löwensteiner Bergen in der Nähe von Heilbronn geboren. Auf Wunsch der Eltern verlobte sie sich 1821 mit einem entfernt verwandten Kaufmann und heiratete ihn bald danach. 1823 starb ihr erstes Kind wenige Monate nach der Geburt. Sie verfiel seit dem Tag ihrer Verlobung in eine ihren Verwandten unerklärliche Schwermut, weinte tagelang, schlief kaum mehr und verweigerte die Nahrung. 1826 begann ihre Behandlung bei dem Arzt und Dichter Justinus Kerner in Weinsberg. Mit ihm nahm sie Kontakt auf, begann wieder zu essen, entwickelte aber eigenartige Symptome. Sie begann, in einem eigentümlichen traumähnlichen Zustand Geister zu sehen, wurde bei bestimmten Außenreizen bewegungsunfähig, empfand ihr Leben als körperlos und ihren Körper als schwerelos. Zudem schilderte sie, sie spüre einen Stein im Kopf und das Zusammenziehen ihres Gehirns.
Justinus Kerner schilderte diese Phänomene in seiner Beschreibung "Die Seherin von Prevorst". Rückblickend sind sie als Symptome einer schweren dissoziativen Störung zu werten, einer Krankheit, die früher unter der Bezeichnung "Hysterie" zusammengefasst wurde. Justinus Kerner sah die Phänomene jedoch nicht als Krankheitssymptome, sondern als Zeichen der Fähigkeit Friederike Hauffes, Geister zu sehen, die sich der Wahrnehmung durchschnittlicher Menschen entziehen. Er war zwar ein naturwissenschaftlich denkender Arzt, seine Beziehung zu seiner Patientin war jedoch durch Faszination charakterisiert. Diese Haltung verstärkte die Symptome. Kerner hatte jedoch kaum andere Möglichkeiten. Das Störungsbild der Hysterie wurde erst später beschrieben, und erste sinnvolle Therapieansätze gab es erst bei Pierre Janet (1882).
Auch bei heutigen TherapeutInnen besteht immer wieder die Gefahr, PatientInnen mit dissoziativen Störungen nicht mit Empathie, sondern mit Identifikation oder mit Ablehnung zu begegnen.
Prof. Dr. Hans-Jürgen Luderer:
Ehem. Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums am Weissenhof in Weinsberg bei Heilbronn. Langjährige Tätigkeit als Gesprächspsychotherapeut (GwG), sowie als Ausbilder und Supervisor. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der GwG.
Lieferung: Video-DVD; Spieldauer: ca. 49 Min.; Format: 16:9; produziert mit 2 Kameras
Vorschau:
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[TAB:Hinweis]Von diesem Vortrag steht nur der gut verständliche, aber natürlich mit Störgeräuschen behaftete Raumton zur Verfügung.